Am 31. Juli 06 war ich das letzte Mal zur Kontrolle bei meinem Frauenarzt. Du lagst kopfüber in Geburtsposition, der Gebärmutterhals war bereits verkürzt, Muttermund weich.
Von diesem Moment an, habe ich auf dich gewartet, mein Schatz, doch du hast dir Zeit gelassen.
Ich wollte aufgrund eines Schicksalsschlages bei uns in der Familie auf keinen Fall übertragen. Mit jedem Tag des Übertragens wuchs die Angst, die Unsicherheit und auch der „Druck“ von aussen.
Der Entbindungstermin war der 18. August 2006. An diesem Tag waren wir im Spital zur Kontrolle. Das CTG war super, und du hast wie immer kräftig gegen den Knopf getreten. Nur leider war es immer noch so wie Ende Juli: Gebärmutterhals verkürzt, Muttermund weich.
Ich wollte dir unbedingt noch ein bisschen Zeit lassen und habe den Einleitungstermin auf den 22. August angesetzt. Diese 4 Tage wollte ich dir noch geben und habe so fest daran geglaubt, dass du vorher kommst.
Ich habe Wehentee getrunken, war stundenlang bergauf- und bergab am spazieren, habe wehenanregende Öle eingerieben und am Schluss sogar das Rhizinuscocktail von der Hebamme getrunken. Ich hatte keine Wehen, aber immerhin auch kein Durchfall

Am 22. August gingen dein Papi und ich also ins Kantonsspital in Aarau. Ich hätte im Auto am liebsten die ganze Zeit geweint, ich habe so sehr gehofft, dass du von alleine kommt. Um 8.3o Uhr hatte ich Eintritt, doch kaum sind wir im Spital angekommen, wurden wir wieder nach Hause geschickt. Es waren zu viele Geburten im Gange und die Hebammen hatten für eine Einleitung keine Zeit. Der neue Eintritt wurde also auf 15 Uhr verlegt.
Auf dem Rückweg hätte ich wieder nur heulen können. Dein Papi und ich haben zu Hause noch etwas gekocht und uns noch ein bisschen hingelegt, da ich in der Nacht vorher sehr schlecht geschlafen habe.
Um 14.30 Uhr machten wir uns wieder auf den Weg in den Spital. Diesmal war der Weg etwas einfacher, irgendwie habe ich mich in den Stunden zu Hause ein bisschen „gefangen“ und war voller Zuversicht, dich bald in den Armen zu halten.
Im Spital angekommen wurden wir von der Hebamme herzlich willkommen geheissen. Ich fühlte mich gleich sehr wohl auf der Geburtenabteilung, die Hebammen haben sich einfühlsam um uns gekümmert. Ich wurde zuerst wie immer ans CTG gehängt, während dein Papi sich um die Anmeldung im Spital kümmerte. Das CTG war hervorragend, dir ging es zum Glück gut in meinem Bauch. Nachdem ich von der Ärztin untersucht und über die Einleitung aufgeklärt wurde, habe ich das erste Zäpfchen erhalten. Danach musste ich eine Stunde liegen bleiben. Dein Papi und ich waren bester Laune, voller Zuversicht und hoffnungsvoll. Die Stunde liegen verging daher sehr schnell und wir wurden danach in das Zimmer gebracht, rechtzeitig zum Nachtessen. Dein Papi hat noch mit mir gemeinsam gegessen und ging danach nach Hause – in der Hoffnung, eventuell nachts wieder zu kommen. Ich ging gegen 21.00 Uhr nochmals zum CTG. Es war alles in bester Ordnung, nur leider keine Wehe in Sicht. Deshalb ging ich wieder ins Zimmer und habe mich mehr oder weniger in den Schlaf gewälzt und schlecht geschlafen.
Mit dem 23. August war ein neuer hoffnungsvoller Tag angebrochen – kommst du wohl heute zur Welt? Nach dem Frühstück ging es gleich mit dem Einleiten weiter. Es lief immer gleich
ab: CTG um Herztöne und Kontraktionen zu messen. Danach gab es das Zäpfchen und ich musste wieder eine Stunde liegen bleiben. Die Stunden auf der Liege wurden immer länger, das Warten immer nervenaufreibender, die Hoffnung immer kleiner. Der Befund war nach jedem Untersuch der gleiche: Gebärmutterhals verkürzt, Muttermund weich.
Dein Papi und ich gingen zwischendurch spazieren. Im Kantonsspital hat es einen schönen Park und wir lagen in den Liegestühlen und stellten uns vor, dass wir jetzt in den Ferien wären. Spekulierten über dein Geburtsdatum, wirst du ein Löwe oder eine Jungfrau? Wie schwer wirst du sein, wie gross und vor allem, wie sieht du aus? Dein Papi war die ganze Zeit bei mir und hat mir geholfen, die lange Zeit des Wartens auszuhalten. Wir haben zusammen gegessen und die Zweisamkeit noch so richtig genossen und gleichzeitig gehofft, dass wir bald zu „dritt“ sind. Auch an diesem Abend ging ich, nach 3 Zäpfchen, nochmals zum CTG. Es war immer noch alles bestens, du hast geturnt und gegen den Knopf gedrückt wie ein kleiner Weltmeister. Aber ausser deinem „Gerumpel“ im Bauch war keine Wehe zu sehen und der Befund war auch noch gleich: Gebärmutterhals verkürzt, Muttermund weich. Auch diese Nacht habe ich schlecht geschlafen. Wieso mein kleiner Engel willst du nicht auf die Welt kommen? Wir warten doch so sehnsüchtig auf dich??
24. August und ein weiterer Tag ist angebrochen – ohne Wehen. Auch heute ging es weiter wie gestern, am Morgen hatte ich wieder ein CTG, danach das erste Zäpfchen. Die Hebamme machte noch eine Muttermund-Massage. Das hat richtig geschmerzt, aber sie hat gesagt, dass das meistens auch hilft. Dein Papi kam wieder in’s Spita, um mit mir auf dich zu warten. Ich war in der Zwischenzeit ziemlich verzweifelt. Das Telefon läutete oft, alle fragten nach, wieso es den nicht geht, wieso wir so lange warten, was los ist? Das wurde immer nervenaufreibender und als ich um 13.30 Uhr wieder zum CTG und Zäpfchen legen musste, habe ich der Hebamme unter Tränen gesagt, dass ich nicht mehr will. Ich kann nicht mehr länger warten, ich habe Angst und ich mag nicht mehr. Ich wollte einen Termin für einen Kaiserschnitt – genau das, was ich unbedingt verhindern wollte. Diese Chance wollte ich dir unbedingt lassen, natürlich auf die Welt zu kommen. Aber ich hatte in diesem Moment keine Kraft mehr, und habe daher einen Kaiserschnitt in Kauf genommen – schweren Herzens. Dies habe ich auch so vorher lange mit deinem Papi besprochen. Die Hebamme war sehr verständnisvoll. Nach einem einfühlenden Gespräch, haben wir zusammen mit den Ärzten den Termin für den Kaiserschnitt auf den 25. August 2006 mittags festgesetzt. Irgendwie war es erleichternd, den Termin zu haben und irgendwie tat es mir so leid, für dich, für mich, dass wir nicht die Chance hatten, den natürlichen Weg zusammen zu gehen.
Wir haben das Einleiten aber trotzdem noch weitergeführt und somit habe ich auch am 24. August 3 Zäpfchen erhalten. Am Abend ging ich wie immer so ca. um 22 Uhr zum CTG. Ziemlich unmotiviert, da ich ja keine Wehen spürte und ich mich langsam aber sicher auf den Kaiserschnitt einstellen musste.
Am CTG angehängt, hast du auch gleich wieder losgezappelt – dieses Prozedere gefällt dir wohl immer noch nicht. Nach 10 Minuten kam die Hebamme und sagte; „Das es wohl doch nichts mehr werde mit der natürlichen Geburt“. Aber immerhin waren die Herztöne hervorragend und dir ging es gut. Die Hebamme lies mich alleine und ich habe ein bisschen mit dir gesprochen. Nach 20 Minuten am CTG hat es mich plötzlich ziemlich gezogen – ist das eine Wehe? Nein, wohl nicht, dachte ich hoffnungslos. Doch dann kurz darauf wieder…die Hoffnung steigt. Als die Hebamme wieder kam, war sie ganz überrascht und hat gelächelt: Das zeigt jetzt aber schon sehr schöne Kontraktionen an, vielleicht geht ja jetzt doch konnte und schauen, ob die Wehen wieder weggehen oder stärker werden.
Im Zimmer habe ich ein bisschen fern geschaut. Das Ziehen kam alle 2 – 3 Minuten. Ich ging mal unter die Dusche und ging danach nochmals runter, da ich mir sicher war, dass es nun richtige Wehen waren. Am CTG hat man es auch sehr schön gesehen und die Wehen wurden schnell stärker. Der Muttermund war auch bereits 2-3 cm geöffnet. Die Hebamme meinte, ich sollte meinen Mann informieren und nochmals kommen, sie lässt mir dann ein Bad ein zum entspannen und schauen, wie sich die Wehen entwickeln. Ich habe deinen Papi informiert und möglichst lässig am Telefon geklungen, damit er nicht allzu schnell fährt

Ich wurde am CTG angeschlossen, die Wehen kamen immer noch alle 2 Minuten, immer heftiger. Die Hebamme meinte, bevor ich jetzt in die Badwanne gehe, wolle sie mich doch nochmals untersuchen, da ich schon so auf die Wehen reagierte. Der Muttermund war bereits 5-6 cm offen. Sie hat mir dann noch einen …….. gelegt. Danach hat sie mich nochmals untersucht. Muttermund 7 cm offen. Zur Unterstützung hat sie mir dann die Fruchtblase bei einer Wehe gesprengt. Das tat so nicht weh, nur wurden die Wehen schlagartig noch heftiger. Ich stand auf und mit Hilfe der Hebamme und deinem Papi ging ich gegen 03.15 Uhr in die Badewanne. Das warme Wasser löste dann aber einen richtigen Wehenschub aus. Ich konnte die Wehen nicht mehr veratmen, ich habe mich bei jeder Wehe an den Tüchern hochgezogen und geschrien. Dein Papi musste mich mit aller Kraft festhalten. Die Wehen hatten eine Heftigkeit, die ich so nicht erwartet hatte. Ich konnte kaum mehr atmen. Die Hebamme hat mir vorgeschlagen in den Vierfüsslerstand zu gehen, aber so konnte ich die Wehen noch weniger aushalten und habe so heftig reagiert, dass dein Papi mich nicht mehr festhalten konnte und ich untergetaucht bin. Das CTG konnte in der Wanne auch nur noch schlecht abgelesen werden und deshalb bat mich die Hebamme aus dem Wasser – was ich auch gerne tat. Eigentlich wollte ich ja eh nur noch nach Hause. Sie begleiteten mich zum Maya-Hocker. Das war eigentlich ganz angenehm – jedenfalls besser als im Wasser. Der Muttermund war mittlerweile auch fast vollständig geöffnet. Die Hebamme hat mir gesagt, ich soll nicht mehr schreien, sondern den Mund zumachen und die Kraft fürs Schieben benutzen. Das habe ich auch getan und bei jeder Wehe soviel Kraft eingesetzt, wie ich nur konnte.
Ich weiss nicht mehr, wie viele Wehen ich brauchte. Ich weiss nur noch, dass dein Papi mich ganz fest gehalten hat. Er war sozusagen mein Rückgrat. Als die Hebamme sagte, sie sehe schon deinen Kopf und dass du fast keine Haare hast. Sie hat mich gefragt, ob ich deinen Kopf anfassen will, doch ich wollte das in dem Moment nicht, ich wollte dich nur endlich zur Welt bringen. Die letzten beiden Wehen waren dann auch recht intensiv für mich. Die zweitletzte Wehe stoppte als dein Kopf fast geboren war. Die Hebamme sagte immer wieder, ich solle jetzt ja nicht mehr schieben und ich habe immer nur gesagt: Ich zerreisse. Dann endlich, eine Wehe und ich habe nochmals meine ganze Kraft zusammengenommen – dein Kopf war geboren. Die letzte Wehe hat dann auf sich warten lassen, aber dann warst du endlich geboren. Um 04.29 Uhr warst du endlich da. Du wurdest mir auf die Brust gelegt und dein Papi hat die Nabelschnur durchgeschnitten. Die Nabelschnur war relativ kurz, aber dafür ziemlich dick. Dein Papi brauchte richtig Kraft um die Nabelschnur durchzuschneiden. Vielleicht hatte er auch nicht mehr soviel, weil er mich ja die ganze Zeit halten musste

Dann wurdest du mir kurz weggenommen und ich ging aufs Bett, für die Nachgeburt. Die Aerztin hat mich noch untersucht, und weder einen Riss noch etwas zum nähen gefunden.

Nach den ersten Untersuchungen, hat dein Papi dich ganz behutsam gebadet, gewickelt und angezogen. Die Hebamme liess uns dann alleine, wir konnten dich in vollen Zügen geniessen. Dich bestaunen, dich anfassen, die Finger abzählen …1,2,3,4,5 – alle da. Später habe ich noch geduscht und uns wurde ein Frühstück serviert. Ca.5 Stunden nach deiner Geburt gingen wir wieder in unser Zimmer zurück und genossen unsere „Dreisamkeit“.
Dein Papi hat zwar nach der Geburt gesagt, ich war zu laut und das nächste Mal nehme er Ohropax mit. Aber er hat auch gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass ich soviel Kraft entwickeln könnte. Dein Papi war bei der Geburt nicht nur dabei, sondern er hat mir sehr geholfen. Er hat meine Hand gehalten, er hat mich unterstützt und gestützt und er hat mir geholfen, die Schmerzen auszuhalten. Dafür danke ich ihm von Herzen. Es war etwas vom Intensivsten und Schönsten, was dein Papi und ich je erleben durften.
Ein Tag nach deiner Geburt wurdest du von einer Krankenschwester nochmals gebadet und mir nackt auf meine nackte Brust gelegt. Wir haben uns dann warm zugedeckt und nochmals gekuschelt – das war nochmals ein entspanntes und bewusstes Ankommen auf dieser Welt für uns beide – und wir haben es so richtig genossen!!!