Um 03:00 bin ich erwacht und dachte, ich hätte in die Hose gepieselt, wie ein kleines Kind. Mein erster Gedanke war: „Ja, jetzt ist es soweit, die Inkontinenz hat mich eingeholt. Der Kleine muss ganz schön auf die Blase drücken.“ Also stand ich auf und machte einen Pitstopp auf der Toilette, wechselte die Slipeinlage und legte mich wieder ins Bett. Ein paar Minuten später wieder das Gefühl, ich hätte in die Hose gemacht. Also wieder auf die Toilette und diesmal hab ich eine Riesenbinde untergelegt. Zum Glück. Eine halbe Stunde später ging der Schleimpfropf ab. Diesmal war ich mir ganz sicher, dass es dieser war. „So,“ dachte ich, „jetzt geht’s höchstens noch zwei Wochen bis zur Geburt. Sagen jedenfalls die Bücher“.
Ich hab mich vor dem Fernseher gehauen, denn an Schlaf war irgendwie nicht mehr zu denken, wie die drei Nächte zuvor. Um 05:00 Uhr dann plötzlich so ein dumpfes Ziehen im Unterbauch. Eine Wehe? Was soll’s, es ist ja sicher wieder nur eine Übungswehe, wie schon vor ein paar Tagen. Huch, die dauert aber lange. Zehn Minuten später dann die nächste Wehe: Wieder länger als eine Minute. Jetzt wurde ich wieder hellwach und beobachtete jede einzelne Wehe. Sie wurden immer regelmässiger und auch ein wenig schmerzhafter. Aber alles im Bereich von leichten Periodenschmerzen. Gleichzeitig verlor ich immer wieder Urin mit etwas Blut darin (dachte ich jedenfalls). Um halb sieben kroch ich dann ganz aufgeregt zu meinem Mann ins Bett, streichelte seinen Nacken – das liebt er besonders. Er öffnete die Augen und war ganz erstaunt, mich schon wach zu sehen. Ich sage ihm, er solle langsam aufwachen. Er fragte mich, warum denn? Ich: „Ich glaube, es geht langsam los“. – „Was geht los?“ – „Unser Kind macht sich auf den Weg“. – „Bist du sicher?“ – „Nein, überhaupt nicht. Weißt Du was? Wir trinken in Ruhe einen Kaffee und rufen dann im Spital an.“
Das taten wir dann auch. Die Hebamme am Telefon meinte, wir sollen doch sicherheitshalber mal vorbeikommen. Also zogen wir uns an, scherzten noch etwas rum, packten das Köfferchen fertig und fuhren los. Um acht Uhr trafen wir dann im KSW (Kantonsspital Winterthur) ein. Ich gab der Hebamme meine Binde, damit sie nachschauen konnte, was es denn nun sei: Fruchtwasser oder Urin. Sie hängte mich für eine halbe Stunde ans CTG (Wehenschreiber und Herztönchen vom Kleinen). Die Wehen waren regelmässig, aber kaum noch zu spüren. Das Herzchen von Krümelchen schlug, wie es sollte. Nach dem CTG untersuchte mich die Hebamme und eine Ärztin und dann die grosse Überraschung: Ich müsse bleiben. Die Flüssigkeit, die ich meinte, es sei Urin, sei Fruchtwasser und der Muttermund sei schon ca. 1,5 Zentimeter offen. Hui, jetzt wurden mein Mann und ich ganz freudig-nervös. Die Hebamme schickte uns noch etwas spazieren oder käfele, wir sollen um zwölf Uhr wieder im Gebärsaal Nr. 7 sein, damit das nächste CTG und MuMu-Kontrolle gemacht werden konnte. Also gingen mein Mann und ich spazieren. Die Wehen machten sich immer etwas mehr bemerkbar, musste sie aber noch nicht veratmen. Die Leute im Park rund um das Spital schmunzelten nur, wenn sie uns sahen.
Um zwölf und um vierzehn Uhr CTG und MuMu-Kontrolle. Die Hebamme meinte, ich mache gute Fortschritte. Der MuMu sei schon gut 6 Zentimeter offen. Um spätestens drei Uhr solle ich wieder im Gebärsaal sein, dann müssten sie mir Blut abnehmen, um eine Infektion durch das austretende Fruchtwasser zu vermeiden/erkennen. Und dann sei auch noch Schichtwechsel: Es käme eine andere Hebamme, um mich zu betreuen. Von diesem Zeitpunkt weg sind meine Erinnerungen etwas verschwommen. Kurz vor drei kamen die ersten heftigen Wehen, die ich auch richtig veratmen musste. Kurze Zeit später schrie ich schon vor Schmerzen. Ich verlangte eine PDA (Betäubung via Rücken, die mittels einem Schläuchlein permanent die Schmerzen lahm legt) mit . Die Ärztin meinte, ich müsse noch die Blutuntersuchung abwarten von wegen Notkaiserschnitt und so. Anscheinend musste ich wahnsinnig leiden, denn mein Mann klingelte irgendwann und verlangte sehr bestimmt nach der PDA, die dann auch bald gesetzt wurde. Leider hatte diese nicht gesessen, sprich, nach etlichen Bonusladungen Schmerzmittel wurden meine Wehen immer heftiger und ich wollte nur noch sterben. Ich erinnere mich noch, dass ich in einer Wehenpause zu meinem Mann sagte, er solle dafür sorgen, dass der (tschuldigung) Saugoof per Kaiserschnitt mit Vollnarkose geholt werden soll. Aber bitte sofort. Gottseidank hat er mich nicht so ernst genommen und dafür gesorgt, dass eine zweite PDA gesetzt wurde. Die nützte auch sogleich und ich fühlte mich wieder pudelwohl, zu Scherzen aufgelegt und freute mich riesig aufs Finale.
Um zehn Uhr abends kam dann die Hebamme mit der Nachricht, es gehe bald los. Der Muttermund sei gänzlich offen, wir müssten nur noch die Presswehen abwarten. Sie hatte mir auch einen Schlauch mit Wehenförderer angehängt, da die PDA die Wehen hemmen könne. Die Hebamme fragte mich, ob sie bleiben solle bis zur Geburt oder ob sie Feierabend machen dürfe. Ich staunte nicht schlecht, dass sie wegen mir Überstunden machen wollte. Ich schickte sie nach Hause mit den Worten: Sie haben sich ihr Feierabend redlich verdient mit so einer zickigen, wehleidigen Gebärenden, die nicht mal ein bisschen Wehen ertragen könne. Sie schmunzelte und sagte, ich sei doch sooo tapfer gewesen. Nichts da von wegen wehleidig und so. Eine Geburt sei ja nicht ohne. Also ging sie in ihren wohlverdienten Feierabend und eine auszubildende Hebamme und ihre „Mentorin“ kamen. Auch zwei ganz nette Damen. Nun spürte ich auch langsam den Drang, zu pressen. Die Ärztin senkte die PDA-Dosis etwas und ich hatte schon wieder Panik, dass die Schmerzen wieder nicht auszuhalten waren: Dies teilte ich auch mit und die Ärztin meinte, ich solle keine Angst haben, wenn es mir zu schmerzhaft würde, würden sie die Dosis gleich wieder erhöhen.
Der Drang zu pressen wurde immer grösser und die Hebammen und die Ärztin meinten, ich dürfe langsam anfangen. Ich wusste aber nicht so recht, wohin pressen und sie halfen mir, in dem sie einen warmen Lappen als Navigator an den „Ausgang“ hielten. Also presste und presste ich, mal im Vierfüssler (auf den Knien und den Ellbogen aufgestützt) mal ganz „normal“ auf dem Bett, mit aufgestützten Füssen. Aber irgendwie wollte der Kleine nicht über den Beckenboden hinwegrutschen. Die Assistenzärztin zog einen Oberarzt zu Rate, ob sie die Vakuumglocke zu Hilfe nehmen solle. Der Oberarzt sagte zu: Ich gäbe schon mehr, als ich eigentlich könnte und ich solle jede Hilfe bekommen, die ich wolle. Die Ärzte fragten mich, ob das OK sei, wenn der Kleine etwas Hilfe mit der Vakuumglocke erhalte. Ich sagte ja, denn ich hörte ja selber auf dem CTG, dass der Kleine schlechte Herztöne hatte, sobald ich am Pressen war und ihn versuchte runterzuschieben. Also wurde die Glocke angehängt (wie das geht? Keine Ahnung...) und bald war der Kopf da. Mein Mann wusste vor Glück nicht, ob er beim Kleinen in der Nähe sein sollte oder mich umarmen. Er strahlte vor Glück und Stolz, was mir nochmals eine unheimliche Kraft gab. Nach der nächsten Presswehe war unser Glück dann da:
Freitag, 29. September 2006
Der Kleine ist um 00:17 Uhr auf die Welt gekommen mit einem Riesenschrei. Ich fragte, ob es nun wirklich ein Junge sei (wir wussten es ja eigentlich von der Fruchtwasserpunktion her sehr genau) und ob auch wirklich alles dran sei. Meine Fragen wurden mit Ja beantwortet und der stolze Papi durfte die Nabelschnur durchschneiden. Danach wurde mir unser Sohn auf die nackte Brust gelegt und das war der schönste Moment in meinem ganzen Leben. Gern wollte ich, dass er auch bei Papa ist aber Papa hat nur gemeint, Mama ist jetzt Trumpf und er könne dann ja später. Und das erste, was unser grosser Stolz macht? Er hatte eine Riesenladung Kindspech (der erste Stuhlgang von Kind wird so genannt, weil er zähflüssig und klebrig und schwarz wie Pech ist) auf Mama losgelassen. Und schon hatte unser Sohn seinen ersten Übernamen: Scheisserchen...! Wir Eltern durften lange, lange mit unserem Sohn kuscheln und uns kennen lernen. Zwischenzeitlich (ich hab das irgendwie nur am Rande mitgekriegt) wurde die Plazenta rausgeholt und der Dammriss genäht. Die Hebamme fragte mich noch, ob ich den Mutterkuchen sehen möchte und ich meinte nur, dass ich das „Gschlüdder“ nicht unbedingt sehen müsse. Sie könne es ja mit nach Hause nehmen und einen Baum pflanzen...!

Unser Glück ist perfekt. Leandro ist gesund und munter und hat sich nach einem Tag schon wunderbar an die neue, grosse Welt gewöhnt. Er trinkt viel, schläft viel und weint fast nie. Ich habe mich bis Dienstag im Spital erholt und muss ein Riesenkompliment an die ganze Belegschaft des KSW loswerden. Ohne ihre Hilfe und Unterstützung, die lieben Worte und Aufmunterungen, die liebevolle Fürsorge unserem Kleinen und mir gegenüber sind nicht zu bezahlen. Danke, KSW, dass ihr uns auf dem Weg zum Kind so grossartig unterstützt habt.