Eine flotte Hausgeburt

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Ammonit
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Registriert: Di 16. Jul 2013, 15:24

Eine flotte Hausgeburt

Beitrag von Ammonit »

Unser zweites Kind hat errechneter Geburtstermin Ende Mai. Dem grossen Bruder erkläre ich: Das Baby kommt auf die Welt wenn der Frühling vorbei ist und der Sommer anfängt. Wir planen eine Hausgeburt. Der Termin verstreicht und das Kindchen ist noch in meinem Bauch drin. Abgesehen von immer mal ein bisschen unregelmässigen Vorwehen deutet nichts auf eine baldige Geburt hin. Eine Woche nach dem Termin werde ich langsam echt nervös. Ich weiss zwar, dass es normal ist, dass Kinder bis zwei Wochen nach dem Termin warten mit rauskommen, aber ich beginne mich zu sorgen, dass ich übertrage und ins Spital muss. Die Vorstellung einer eingeleiteten Spitalgeburt macht mir Angst. Das Wetter ist grauselig. Seit Tagen und Wochen gab es nie einen sonnigen Tag. Ich mache Spaziergänge im Dauerregen, weil ich nur Zuhause sein und warten nicht aushalte. In ganz Europa kommt es zu Überschwemmungen.

ET + 10
Der Grosse ist den ganzen Tag in der Krippe. Es regnet endlich mal nicht, ist aber kühl und bewölkt. Mein Mann und ich am Morgen wandern. Wir hören Frösche quaken und sinken tief ein im Matsch. Es tut gut. Wir haben am Nachmittag einen Termin im Spital um einen Ultraschall zu machen. Unsere Hebamme möchte sicher sein, dass das Kind noch gut versorgt ist. Beim Ultraschall ist eindeutig, dass alles in bester Ordnung ist. Reichlich Fruchtwasser, Plazenta ok. Trotzdem wird uns geraten die Geburt einzuleiten. Am besten schon heute, allerspätestens in drei Tagen. (Wir haben beim ET etwas geschummelt. Die Ärztin geht davon aus, dass wir erst bei ET + 7 sind) Wir können über diese Logik nur den Kopf schütteln. Anschliessend haben wir Untersuch bei der Hebamme im Geburtshaus. CTG wird geschrieben - auch die Herztöne sind bestens. Die Hebamme bespricht das weitere Vorgehen mit uns: spätestens am Freitag wird mit Hebammenmethoden eingeleitet. Wir kriegen Rhizinusöl mit und die Hebamme erklärt uns, dass sie auch mit Syntocinon-Nasenspray den Wehen nachhelfen kann. Sie sieht die Hausgeburt noch überhaupt nicht gefährdet. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Endlich bin ich wieder richtig gelöst und entspannt.

ET + 11
Am Morgen habe ich ab und zu Kontraktionen. So 2-4 pro h. Am Nachmittag gehe ich mit meinem Vater auf einen Spaziergang. Es ist endlich richtig sonnig und warm. Es fühlt sich zum ersten Mal dieses Jahr nach Sommer an. Ich habe 4-6 Kontraktionen pro Stunde, sie hindern mich aber weder beim sprechen noch gehen. Wenn ich nichts sagte, würde mein Vater nichts davon mitkriegen. Ich denke mir, dass es vielleicht doch noch ohne Rizinusöl losgehen könnte. In der Stadt essen wir ein Glace und finde endlich in einer Drogerie die letzte Zutat für Wehentee: Verbena officinalis. Ich verabschiede mich um 17h von meinem Vater. Im Bus stoppe ich mal die Abstände: Kontraktionen alle 5-10'. Zuhause koche ich Wehentee und lasse mir ein Bad ein. Mein Mann und der Grosse sind noch fort. Langsam muss ich bei den Wehen innehalten und bewusst atmen. Es ist 18 Uhr. Kurz bevor ich ins Bad einsteige - bereits nackt - spüre ich was zwischen meinen Beinen. Etwas überrascht schaue ich nach und entdecke ein grosse Menge Geschlabber. Der Schleimpfropf hat sich gelöst. Jetzt ist für mich eindeutig - das Kleine will auf die Welt kommen. Ich informiere meinen Mann per SMS darüber. Jetzt alle 4-5' eine Kontraktion. Im Bad bleiben die Kontraktionen. Ich höre meine Geburtsmusik und lese nochmals die Affirmationen aus dem Hypnobirthing-Buch. Um 19h steige ich aus dem Bad. Mein Plan: eine Porridge kochen für mein Znacht, Hebamme vorinformieren, den Grossen ins Bett bringen und dann auch gleich noch etwas schlafen, damit ich genug Energie für die kommende Nacht habe. Während dem kochen rufe ich die Hebamme an und plaudere ganz entspannt. Sie ist sehr heiser und erkältet, meint aber dass sie schon kommen kann. Sie empfiehlt mir ebenfalls noch etwas Ruhe zu suchen. Ich solle mich wieder melden wenn die Wehen ca 1' lang anhalten. Bisher habe ich immer so etwas um 30' gemessen. Ich habe das Bedürfnis nach Dunkelheit und Abgeschiedenheit und lasse alle Rollläden runter, Geburtsmusik an. So fühle ich mich wohl. Meine zwei Männer kommen nach Hause, der Grosse isst ein paar Bissen Porridge mit. Zwischendurch besinge ich meine Wehen noch ganz easy. "Die kommen ja schon ziemlich häufig" meint mein Mann. Der Grosse lässt sich nicht stören von meinem Singen. Es passt irgendwie in die Stimmung. Er besteht aber auf Licht im Wohnzimmer damit er sein Buch anschauen kann. Ich lege mich bereits ins Bett während mein Mann den Grossen bettfertig macht. Ich höre meine Musik, versuche mich ganz bewusst zu entspannen und zu dösen und singe. Irgendwann kommt der Grosse ins Bett und fragt mich was von wegen 'Wellen'. Ich frage bei meinem Mann nach, ob er er tatsächlich meine Geburtswellen meint. mein Mann bejaht. Da hat er wohl was erklärt. Ich lege mich neben den Grossen und versuche das normale Einschlafritual zu machen. Ich erzähle vom Tag und was am nächsten los ist. Ich sage, dass das das Kleine wahrscheinlich bald auf die Welt kommt und dass wenn er am nächsten Tag aufwacht eine Freundin von mir da ist um zu ihm zu schauen. Zwischendurch singe ich bei den Wellen. Natürlich möchte der Grosse wie gewohnt stillen. Beim Stillen werden die Wehen deutlich häufiger und kräftiger. Nach der zweiten Wehe ist mir klar, dass ich nicht ruhig liegen bleiben kann mit SOLCHEN Wehen und bitte den Grossen loszulassen. Er hört auf, jammert aber nach der zweiten Seite. Ich sag ihm er dürfe so lange wie die Musikuhr spielt. Dieses Vorgehen kennt er bestens. Bald kommt wieder einen Wehe und ich wickle die Schnur der Spieluhr auf damit sie aufhört. Diese Wehen gehen wirklich nicht mehr ruhig liegend. Der Grosse hört wie gewohnt auf, als die Spieluhr fertig ist. Mein 'Bschiss' hat gut funktioniert. Er schläft fast sofort. Ich staune, dass er einschlafen kann obwohl er weiss dass das Baby kommt. Ich mache die Kerzen im Geburtszimmer an und versuche im Bett dort zu schlafen. Das gebe ich sehr bald wieder auf. Die Wehen sind schon recht kräftig. Auch entspannt liegen zu bleiben geht irgendwie nicht. Ich werde während den Wehen ganz zappelig. Die Wehen machen weh. Ich bin etwas irritiert: "Wieso macht das jetzt weh - ich bin doch so entspannt, dann sollte es doch ohne Schmerzen gehen. Und die Geburt hat doch erst grad angefangen - wie soll das noch weitergehen, wenn die Wehen jetzt schon so kräftig sind!" Ich komme etwas aus dem Konzept und finde es grad etwas schwierig. Ich taste mal nach dem Muttermund und finde keinen Gebärmutterhals mehr, sondern eine Öffnung, die ich auf zwei Zentimeter schätze. Ca 21h Mir fällt eine der Affirmationen ein: "Ich lasse mich ganz auf die Geburt ein, welche Wendung auch immer sie nimmt." Jawohl! Ich beschliesse mich wieder ganz einzulassen - vielleicht geht es ja diesmal einfach schneller. Ich stoppe wieder Wehenzeiten. Sie kommen jetzt schon alle 2-3' gehen aber immer noch nur 30 - 50 Sekunden. Ich lasse meinen Mann die Hebamme anrufen und spreche auch mit ihr. Während den Wehen lasse ich das Telefon liegen weil ich tönen muss. Ich habe noch nicht das Gefühl, dass die Hebamme kommen muss. Sie erklärt mir, dass sie sicher 40' braucht bis sie nach Anruf bei uns ist.
Ich brauche sanfte Bewegung während den Wehen. Nix mit entspannt daliegen gemäss Hypnobirthing. Ich stütze mich auf Wickeltisch oder meinem Geburtsaltar auf und wiege mein Becken. Dann finde ich eine bequeme Position, die ich ziemlich lange einnehme: Vor dem Bett knieend, Oberkörper auf dem Bett ausgebreitet. So kann ich zwischen den Wehen super entspannen. Ich muss schon ziemlich kräftig mittönen und ich merke wie wichtig es ist mich voll auf die Wehen einzulassen. Wenn ich mich darauf konzentriere und auch in den Wehen bewusst loslasse, sind die Wehen viel erträglicher. Ich fokussiere auf meine eingeübten Wehengedanken: "Jaaaa! Komm und bring mein Kind zu mir. Mach mich gross und weit. Ich öffne mich wie eine Blume." Die Frage ob die Wehen jetzt eigentlich schmerzen oder nicht beschäftigt mich. Irgendwann komm ich zum Schluss dass das eigentlich total irrelevant ist wie ich das Gefühl benenne, ich muss es einfach annehmen und damit arbeiten. Punkt. Um mich herum arbeitet mein Mann mit den Vorbereitungen: Er legt den Wasserschlauch für den Geburtspool, deckt den Boden ab. Ich muss ab und an die Beine heben, sonst ignoriere ich ihn und bleibe platt halb auf dem Bett liegen. Gefühlt gar nicht lange nach dem letzten Telefon mit der Hebamme habe ich das unbestimmte Gefühl dass die Wehen nochmals kräftiger geworden sind und bitte meinen Mann ihr anzurufen damit sie kommt. Nach dem Anruf denke ich: "Mist, jetzt kommt sie doch viel zu früh. Ich wollte doch gar nicht so bald schon die Hebamme hier haben."
Mein Mann sagt mir: "Jetzt habe ich fast alle Aufgaben erledigt und kann mich um meine wichtigste kümmern: Dich" Ich bitte ihn, mich etwas zu streicheln. Während der nächsten Wehe streicht er mir von oben nach unten den Rücken aus, das tut richtig gut. "Habe ich das richtig in Erinnerung vom letzten Mal?" fragt er. Ja, es ist super. Von jetzt an hechtet er immer bei meinem ersten Ton zu mir und streicht kräftig meinen Rücken ab. Das tut gut: die Massage, die Berührung und das Wissen nicht allein zu sein. Ich erlebe wieder das faszinierende Gefühl, dass ich selber über den Zeitpunkt der Wehen bestimmen kann. Wenn sich eine anbahnt, kommt sie erst dann so richtig wenn ich mich eingerichtet habe und mit tönen beginne. Es fühlt sich fast an, wie wenn ich die Wehen selber rufe. Ich bitte ihn, das Wasser in den Pool einzulassen. Mir ist aber immer noch recht bequem so halb auf dem Bett und ich möchte nicht zu früh in den Pool, nicht dass ich mir den 'Bonuseffekt' zu früh verspiele. Meine Schwester, die in unserer Wohnung wohnt, kommt um 22h vorbei um ihre Sachen zu holen und umarmt mich kurz und wünscht mir alles Gute.
Ca 22:45 beschliesse ich in den Pool zu gehen. Woah, das warme Wasser tut so gut. Ich suche mir gute Positionen. Während den Wehen hänge ich mich am liebsten mit dem Oberkörper über den Rand und lasse Kopf und Arme draussen baumeln. Mein Becken kann ich so schön ins warme Wasser fallen lassen. Die Hebamme kommt um 23h bei uns an. Bald darauf beginnen die Wehen so kräftig zu werden, dass ich nicht mehr ruhig mittönen kann. Es überschlägt meinen Atem. Es fühlt sich heftig an, genauso wie die letzten Eröffnungswehen bei der letzten Geburt. Ich habe ein leichtes Übelkeitsgefühl und verlange nach einem Becken. Jetzt möchte ich Gewissheit haben, dass die Wehen was gebracht haben. Ich überlege ob ich nochmals selber nach dem Muttermund tasten soll, finde es aber zu mühsam um meinen riesigen Bauch rum zu fassen. Möchte ich lieber entspannt treiben lassen und Hebammenservice in Anspruch nehmen. Wir warten die nächste Wehe ab und die Hebamme untersucht mich danach: Muttermund auf 7 - 8 cm und ganz weich, der Kopf ist bereits an der engsten Stelle. Ich fühle mich bestätigt, dass das wirklich die letzten Eröffnungswehen sind. Meine Freundin trifft um 23.15 bei uns ein. Ich freue mich sehr, sie zu sehen. Nochmals eine liebe, unterstützende Person bei mir - das gibt Kraft. Während einer Wehe fehlen meines Mannes wohltuende Hände auf meinem Rücken. Ich frage nach ihm - er muss mal aufs Klo. Bei Wehenabständen von 2-3 Minuten ein schwieriges Unterfangen. Die Hebamme lässt meine Freundin die Tücher in den Backofen bringen und fragt nach einem Wecker. Ich bin doch etwas irritiert: "Wovon genau sprechen sie?" Ich realisiere noch nicht ganz, dass die Geburt wirklich unmittelbar bevor steht. Bei meiner ersten Geburt ging es von MM 8cm bis zur Geburt noch 5 Stunden! Die Wehen verändern sich, drücken etwas nach unten. Die Hebamme lässt mehr Wasser ins Becken ein, damit die Geburt gut unter Wasser stattfinden kann. Sie bespricht mit mir wie ich Gebären möchte. Ich verändere meine Position, so dass ich mit dem Rücken am Rand anlehne und mit meine Händen gut zwischen meine Bein kommen. Ich möchte gerne mein Kind selber in Empfang nehmen. Die Hebamme untersucht mich nochmals und stellt fest, dass sich ein Muttermundsaum zwischen Köpfchen und Schambein eingeklemmt hat. Sie erklärt mir, dass sie den Saum während der nächsten Wehe wegschieben möchte. Ich bin mässig begeistert von dieser Aussicht, aber nehme mir vor, ganz gut zu entspannen. Es ist dann auch nicht mal gross unangenehm. Ich taste und die Hebamme bestätigt: "Das ist das Köpfchen". Von da an schiebe ich kräftig mit. Mein Tönen wird immer mehr zu einem tiefen Brüllen. Mit der Hand halte ich meinen Damm und das Köpfchen. Es sind nur etwa 5 Wehen bis der Kopf draussen ist. mein Mann verpasst den Moment beinahe, weil er noch etwas holen will. Ich kann ihn mit einem kurzen Ruf davon abhalten. Dann ist der Kopf da. Ich bin ganz gerührt - da war wirklich ein Baby in mir drin. Ich streichle unablässig das Köpfchen - spüre die feinen Haare und ein kleines Ohr. Die nächste Wehe lässt auf sich warten. Die Hebamme wird leicht nervös, weil es Zeit wäre, dass das Baby auftauchen kann. Ich versuche zu tönen und bewusst eine Wehe zu rufen. Klappt nicht wirklich, ich drücke etwas und die Hebamme entwickelt die Schulter. Dann nehme ich mein Kindlein zu mir hoch. Beim hochnehmen halte ich eine Hand unter dem Po und ohne dass ich es wollte, merke ich gleich im ersten Moment: Es ist ein Bübchen. "Es ist ein Bub", sage ich grinsend zu meinem Mann. Der Kleine jammert ein bisschen und kommt auf meiner Brust in der Welt an. Da ist mein Baby nun schon, ich halte, streichle, staune. 23.45h
Die Plazenta kommt unkompliziert auch noch im Pool auf die Welt. Danach steige ich aus dem Pool aus, mein Mann kann den Kleinen zum ersten Mal halten für den kurzen Weg ins Bett. Zu dritt auf dem Bett haben wir Zeit zum kuscheln und staunen. Erst nach einiger Zeit kommen die Hebamme und meine Freundin nochmals hinzu. Mein Mann nabelt ab. Ungefähr um 2 Uhr erwacht der Grosse. Mein Mann holt ihn ins Geburtszimmer um seinen kleinen Bruder zu begrüssen. Der Grosse staunt und freut sich verschlafen. Als erste Handlung sorgt er dafür, dass der Kleine den Schmuse-Elefant erhält, den er für ihn ausgesucht hat. Die Hebamme und meine Freundin verabschieden sich. Um 3 Uhr kuscheln wir alle zusammen im Familienbett und schlafen zum ersten Mal zu viert ein.

quizas
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Re: Eine flotte Hausgeburt

Beitrag von quizas »

so wunderschön, dass bei mir nun grad die tränchen rollen. danke!!!

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NaRaRa
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Registriert: Mi 9. Nov 2005, 23:38
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Re: Eine flotte Hausgeburt

Beitrag von NaRaRa »

Wunderschön geschrieben.
Alles Liebe für eure Familie!

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