Die Schwangerschaft
Im Januar erfuhr ich, dass ich schwanger bin und es war eine grosse Überraschung für uns. Wir wollten das Kind auf jeden Fall, auch wenn unsere Situation sehr instabil war. Ich hatte gerade erst mit einer neuen Arbeitsstelle angefangen, wir hatten bereits einen Vertrag für eine teure, grosse Wohnung unterschrieben… Aber wir freuten uns sehr auf unser Kind. Mein Mann kam pflichtbewusst zu jeder Frauenarztuntersuchung mit, auch wenn er meine Gynäkologin nicht leiden konnte (sie kam aus dem Osten irgendwo und war nicht gerade feinfühlig). Doch es war okay, die Zeit verging, mit dem Kind stimmte alles. Der berührendste Moment war, als aus dem kleinen Würmchen endlich ein kleiner Mensch geworden war und wir seine Herzschläge hören konnten. Was für ein Wunder!
Dann tauchten während der eigentlich sehr einfachen Schwangerschaft noch kleinere Probleme auf. Ich hatte viel zugenommen (insgesamt am Schluss 16 kg), Übelkeit hatte ich nicht, aber Schwindelgefühle. Meine Beine taten weh. Mein Körper hatte sehr viel Wasser eingelagert, ich war richtig aufgedunsen. Ich konnte nicht mehr richtig schlafen. Gegen Schluss war einfach alles anstrengend, ich lief im Tempo einer 90-Jährigen und keuchte wie eine Kettenraucherin. Ich hatte Angst vor der Geburt, weil ich mich kannte: Mit körperlichen Schmerzen konnte ich Zeit meines Lebens sehr schlecht umgehen. Ein eingewachsenes Haar zu zupfen tat schon mächtig weh, bei meinen zwei Tattoos hatte ich geschrien. Wie sollte ich die Geburtsschmerzen überstehen?
Anfangs September war der Geburtstermin, genauer am 13. September, doch so langsam wünschte ich mir, sie käme früher – die Gyn hatte gemeint, es wird wahrscheinlich ein Mädchen. Wir waren schon umgezogen, es stand alles bereit für die kleine Prinzessin. Bett und Kleider, Wickelsachen, der Spitalkoffer war gepackt und stand da und zog täglich tausendmal meinen Blick auf sich. Hatte ich alles gepackt? Ja sicher. Der August kam und ging. Es kam die letzte Untersuchung bei der Gyn. Sie guckte nicht mal richtig, zwei Sekunden hatte sie mich untersucht und befunden, dass der Gebärmutterhals schon verkürzt ist. Sie sagte, es kann jetzt jederzeit losgehen, ich sollte am besten nicht mehr arbeiten und Binden bei mir tragen, da die Fruchtblase schon prall sei und fast am platzen. Das war am Donnerstag, 28. August. Okay, keine Panik, dachte ich. Was machen wir jetzt? Ich sagte meinem Chef Bescheid und blieb ab da nur noch zuhause und in der Umgebung, aber die Tage verstrichen und ich wurde wahnsinnig. Nur mit mir selbst beschäftigt und dem Warten auf ein Zeichen, auf den Start der Geburt. Jedes Piksen hätten Wehen sein können, der sogenannte blöde Schleimpfropf ging bei mir teilweise ab, und zwar alle zwei Tage oder so, also immer mal wieder. Das ärgerte mich auch. Ausserdem, hiess es nicht, dass die Geburt meist wenige Tage danach losging? Bei mir passierte einfach nichts, wieder mal typisch ich! Nach einer Woche warten entschied ich mich, zum Spital zu fahren. Meine Binden waren schon recht nass, und ich dachte, vielleicht verliere ich ja tröpfchenweise Fruchtwasser ohne es zu merken und ausserdem brauchte ich die Bestätigung, dass alles beim Baby noch gut war. Ich spürte das Kind eigentlich gut, sie lag auch schon mit dem Kopf nach unten, man kann aber nie wissen. Also waren wir im Spital, wurden untersucht, und wieder nachhause geschickt da alles in Ordnung zu sein schien.
Die Geburt
Es war Sonntagnacht am 7. September, nach Mitternacht, als mein Mann und ich uns anzogen, um wieder mal einen unserer mitternächtlichen Spaziergänge zu machen. Wir machten das schon seit Wochen – sollte wehenfördernd sein, angeblich. Ich glaubte mittlerweile gar nicht mehr an all die wehenfördernden Mittel. Ich hatte alles versucht, Himberblättertee, Laufen, Sex, warme Bäder… Aber aufgeben konnte ich es trotzdem nicht, was, wenn es doch was nützte? Also gingen wir raus. Ein bisschen Wehwehchen hatte ich schon, wie immer. Vorwehen oder wilde Wehen wahrscheinlich, was sonst. Unser Quartier war sehr ruhig und der Mond erstaunlich hell – es war der Tag vor Vollmond. Der Mond so gross, viele Sterne im Himmel, nahezu magisch. Wir dachten, wenn das jetzt die echten Wehen wären, und sie käme heute Nacht zur Welt, hätte sie sich wirklich die schönste Nacht des Jahres ausgesucht… Wir spazierten und die Schmerzen wurden stärker. Nicht so stark, dass ich anhalten musste. Aber stark genug um nur millimeterweise vorwärts zu kommen. Ich musste schon heftig atmen. Mein Mann schaute mich an und bemerkte mit grossen Augen, so hätte ich mich bisher noch nicht verhalten, das könnten die Wehen sein – er kannte mich besser, als ich mich selber. Ich so: „Nein nein, das sind wahrscheinlich nur Vorwehen“. Hatte keine Lust, wieder enttäuscht zu werden, wenn sie vorbei gingen. Wir entschieden uns nach einem Weilchen, nachhause zu gehen. Ich fühlte mich sittlich unwohl draussen, wo man nicht sofort los kann, falls wirklich was passieren sollte. Also sind wir nachhause, und mal schnell ein Bad eingelassen. Beim Baden gingen die Schmerzen weg. Na toll, dachte ich, siehst du. Als ich aber aus dem Bad kam, hatte ich die erste heftige Wehe. Und ab da ca. alle sieben Minuten, und die Wehen waren sehr stark. Ich stützte mich an der Wand ab und veratmete Wehe um Wehe. Mein Mann rief im Spital an, doch sie meinten, wir sollten noch warten. Ich wartete noch eine halbe Stunde, aber mittlerweile tönte ich schon recht laut. Ich konnte gar nicht anders, bei jeder Wehe musste ich laute A’s und O’s von mir geben, das war schon recht peinlich – für mich selbst, aber es ging nicht anders. Ich hatte mich vorher immer gefragt, wie Wehen sich anfühlen und viel gegoogelt. Aber keine Beschreibung hätte für das hier gereicht, das geht gar nicht. Ich selbst dachte erst später daran, wie es sich genau angefühlt hat, in diesen Stunden konnte ich das nicht. Also es fühlte sich natürlich schmerzhaft an, aber nicht periodenähnlich für mich, wie viele das beschreiben. Es war wie ein gewaltiger Ur-Schmerz, etwas, dass den ganzen Körper einnimmt, von der Mitte des Körpers aus in Wellen quasi einen auseinanderreisst (ist das zu dramatisch formuliert?

Ich konnte bald nicht mehr, hatte keine Kraft, gab aber nicht auf. Mehrere Ärztinnen kamen rein, tauschten sich mit der Hebamme aus. Sie teilten mir mit, dass es nun kritisch würde wegen der langen Zeit, die das Baby schon im Geburtskanal sei. Man müsse nachhelfen – mit der Saugglocke. Ich war einverstanden natürlich, alles für mein Baby, aber auch schockiert und todtraurig, weinte nur noch, hatte Angst, dass ihr was passieren würde, dass man es nicht schaffen würde. Mein Mann war auch nur noch leichenblass. Sie holten die Glocke. Es wurde ein kurzer Dammschnitt gemacht, die Glocke angesetzt. Ich musste noch ein paar Mal pressen und sie war endlich draussen, um 14.55 Uhr. Ich konnte sie vor lauter Tränen nicht richtig sehen, und ich hörte keine Schreie…. Mir blieb das Herz fast stehen. Langsam kroch eine Eiseskälte in mein Inneres, ich schaute nach unserer Prinzessin, doch sie war ganz rot/blau angelaufen. Im Apgar erhielt sie 6/9/9. Sie war eine Sternenguckerin, deshalb diese Schwierigkeiten bei der Austreibung. Ich bekam sie anscheinend kurz in den Arm. Aber ich erinnere mich nicht an diese Sekunden. Hat mich die PDA so duselig gemacht? Die kleine wurde lange untersucht, ihr musste Flüssigkeit aus der Lunge gesaugt werden... Die Nabelschnur entfernte eine Krankenschwester, da sie kritisch zur Welt kam und alles schnell gehen musste. Eigentlich wollte ich, dass mein Mann das macht… Sie hatte eine längliche Kopfform und war verletzt am Kopf (das erste Ansaugen hatte nicht geklappt), zwei Risse, die bluteten. Ich heulte nur noch. Mittlerweile atmete sie und schrie auch. Gott sei Dank. Nach einer gefühlten Ewigkeit bekam ich sie richtig in den Arm. Und wollte sie nie mehr hergeben. Sie sah so fix und fertig aus, genau wie Mami. Und sie tat mir so leid, ein kleines Bündel Wunder, so viel unnötige Schmerzen… Ich wurde in der Zeit zusammengenäht, spürte davon aber nichts. Später wurden wir ins Wochenbettzimmer gebracht.
Ich habe mich in der Zwischenzeit mit der Geburt abgefunden, aber sie war sehr schlimm und ich hatte eine sehr schwierige Zeit danach, und habe es immer noch, konnte es nicht richtig verarbeiten. Gab mir die Schuld dafür, dass ich nicht stark genug war, um die Schmerzen einfach so auszuhalten, dass ich die PDA benötigte… dass ich nicht stark genug war, um richtig zu pressen, dass man helfen musste. Sie hatte wochenlang Schürfungen am Kopf und jedes Mal wenn ich sie ansah, spürte ich einen Stich im Herzen, als hätte ich ihr diese Schürfungen selbst zugefügt. Die Maus war auch ganz fertig, sie hatte ebenfalls grosse Mühe, damit umzugehen. Sie schrie am Anfang viel, ihr Kopf tat wahrscheinlich weh, und ich heulte viel, weil es meine Schuld war. Ich war mit den Nerven am Ende, das waren wir alle ein bisschen. Vieles würde ich heute gerne anders machen.
Sie hat sich aber zum Glück schnell erholt, ist quicklebendig und wird mit Liebe überschüttet.
