
Sonntag, 21. März 2010 (41+2):
Schon seit Tagen habe ich Vorwehen, die langsam intensiver werden. Aber auch wenn es teilweise schon echt weh tut, weiss ich, dass das noch keine richtigen Geburtswehen sein können, denn die Abstände verkürzen und verlängern sich, wie es ihnen gerade passt. Ich überrede meinen Mann zum Herzeln, um die Sache in Gang zu bringen. Er erbarmt sich.

Montag, 22. März 2010 (41+3):
Heute habe ich einen Termin fürs CTG und bin gespannt, ob es Wehen anzeigt. Diese sind zwar nicht mehr so häufig wie in der Nacht, aber nach meinem Empfinden immer noch genügend schmerzhaft. Der Hebamme in der Klinik, die mich ans CTG anschliesst, erzähle ich natürlich gleich mal von meinem blutigen Schleimpfropf. Daraufhin untersucht sie mich. Während sie da unten rumgräbt und mir erklärt, dass mein Mumu noch leicht nach hinten schaut und sie nun versucht, ihn etwas mehr nach vorne auszurichten, zähle ich Sternchen. Scheisse, tut das weh! Na hoffentlich bringt die Quälerei auch was… Das CTG zeichnet während 30 Minuten gerade mal zwei Wehen auf. Dafür aber richtig schöne Hügel, die bis zum Anschlag gehen. Ich finde es allerdings etwas seltsam, weil diese Wehen viel weniger schmerzhaft sind als jene in der Nacht. Na egal, Hauptsache ich hatte mir die Wehen nicht bloss eingebildet! Die Hebamme gibt mir noch ein paar Globulis, um die Wehen etwas anzuheizen, notiert sich „fidu“ (fingerdurchlässig, das weiss ich ja eigentlich schon *seufz*) auf dem CTG und verabschiedet sich von mir mit einem Augenzwinkern und der Bemerkung, dass sie mich bestimmt schon bald wieder sehen wird. Den restlichen Tag verbringe ich dann wieder mit unregelmässigen und schmerzhaften Wehen. Und die Nacht auch… Diese wird noch anstrengender als die vorherige.
Dienstag, 23. März 2010 (41+4):
Um 5 Uhr morgens quäle ich mich aus dem Bett, ich halte es im Liegen nicht mehr aus. Mein Mann erzählt mir später, ich hätte die ganze Nacht hindurch alle 5 Minuten gestöhnt und dazwischen geschnarcht. Klingt, als hätte der Arme auch nicht wirklich viel geschlafen.


Mittwoch, 24. März 2010 (41+5): Der Geburtstag!
Die Hebamme fragt mich, wie meine Nacht war. „Ich konnte nicht schlafen wegen der Wehen“, sage ich. „Warum haben Sie mich denn nicht gerufen? Ich hätte Ihnen noch was geben können!“ entgegnet sie in einem sehr tadelnden Tonfall. Ich denke an dieses lächerliche Tramadol-Zäpfchen und die noch viel lächerlicheren Baldriantropfen und schiesse leicht zynisch zurück: „So? Was denn? Vielleicht eine Bratpfanne über den Schädel?“ Ein paar Krankenschwestern bekommen die Szene mit und brechen in schallendes Gelächter aus. Ich muss auch lachen und entspanne mich wieder.
Die nächste Hebamme tritt ihren Dienst an und stellt sich mir vor. Es ist die leitende Hebamme der Klinik und wirkt ein wenig wie ein Drillmaster auf mich. Nun ist Treppenlaufen angesagt. Und Wehen veratmen. Und Treppenlaufen. Und Wehen veratmen. Ich spüre, wie die Wehen immer gewaltiger über mich rollen und geniesse dieses Gefühl sogar. Und ich bin stolz auf mich, schliesslich habe ich 3 Nächte kaum geschlafen und mobilisiere dennoch enorme Kräfte. Um 11.00 Uhr ist wieder CTG und Mumu-Untersuchung dran. Ich habe inzwischen schöne, regelmässige Wehen und der Mumu ist bei 3 cm. Hurra! Der kann ja doch aufgehen! Und das, obwohl die Wehen im Vergleich zu den Tagen davor nicht einmal wirklich schmerzhafter sind, sondern nur regelmässiger und kraftvoller. Ich bin erleichtert!
Die Hebamme möchte mich aus irgendeinem Grund am CTG lassen und fragt mich, ob ich liegen bleiben möchte oder ob sie mir das mobile CTG bringen soll. Ich will natürlich wieder rumlaufen, weil ich mir erhoffe, dass die Schwerkraft die Geburt beschleunigt. Aus dem Gebärsaal raus traue ich mich allerdings nicht mehr, weil ich bereits ganz schön tönen muss. Entgegen meiner früheren Erwartungen finde ich diese Geräusche, die ich da von mir gebe, überhaupt nicht peinlich oder lustig, sondern sie sind plötzlich das Natürlichste der Welt und tun mir einfach nur gut. Ich drehe also meine Runden im Gebärsaal, hänge mich ans Seil und an die Sprossenwand. Um 14.00 Uhr will die Hebamme wieder reinschauen. Mich stört es überhaupt nicht, dass ich die meiste Zeit über mit meinem Mann allein bin. Nein, ich bin sogar froh darüber, dass die Hebamme so selten anwesend ist, so kann ich mich besser auf mich konzentrieren. Ich bin während einer Wehe total in mich gekehrt, gebe mich völlig hin und nehme sonst nichts mehr wahr. Nach der Wehe scherze ich jeweils wieder fröhlich rum und erfreue mich an dem, was wir da gerade so erleben – mein Mann findet mein Verhalten fast ein wenig schizophren; erst stöhnen und tönen und ein paar Augenblicke später schon wieder grinsen und plappern.

Die nächste Untersuchung ergibt: Mumu 6 cm! Ich triumphiere innerlich und bin so froh, dass ich mit diesen immer noch gut aushaltbaren Wehen schon so weit gekommen bin. Obwohl ich kaum noch Energie habe, bin ich immer noch höchst motiviert. Die Hebamme ist immer noch da unten am rumwurschteln. Ich vermute, dass sie versucht, den Mumu noch etwas weiter zu dehnen. Ist jedenfalls nicht gerade angenehm. Plötzlich gibt die Hebamme ein „Huch!“ von sich und gleichzeitig fühlt es sich da unten an, als ob jemand einen Eimer voll Wasser aus mir rausschütten würde. Und es hört sich auch so an. Die Fruchtblase ist geplatzt! Daraufhin folgt gleich eine Wehe und es ergiesst sich erneut so ein Eimer aus mir raus. Was bin ich froh, dass mir die Blase nicht daheim geplatzt ist! Da wäre entweder unsere Matratze, das Sofa oder der Teppich sowas von ruiniert gewesen!

Es ist jetzt 14.40 Uhr und von nun an bleibe ich liegen, weil ich mich schlicht nicht mehr auf den Beinen halten kann. Und obwohl mein Mann mich brav mit Traubenzucker füttert, fühle ich mich nur noch ausgelaugt und so langsam packt mich die Angst, ob ich den Rest noch schaffen kann. Je weniger Kraft ich habe, desto schmerzhafter erscheinen mir die Wehen und je schmerzhafter die Wehen sich anfühlen, desto weniger Kraft habe ich. Ein Teufelskreis... Auch der Hebamme entgeht mein Zustand nicht und sie fragt mich, was ich von einer Spinalanästhesie halten würde zur Erholung. Sowas wollte ich eigentlich auf keinen Fall, aber ich höre nur noch „Erholung“ und willige sofort ein. Ein paar Minuten nachdem mein Mann das obligatorische Formular ausgefüllt hat, trudelt auch schon das Anästhesie-Team ein. Ich bin so schlapp, dass ich wie ein nasser Sack an der Assistentin hänge, während der Anästhesist die Spritze setzt. Dafür werde ich dann auch noch gelobt, weil ich so schön still halte und höre die Hebamme sagen: „So schnell hatten wir das schon lange nicht mehr!“ Ein paar Minuten später fühlen sich die Wehen tatsächlich ein klitzekleines bisschen weniger anstrengend und schmerzhaft an. Die Hebamme schlägt vor, mir noch ein Entspannungszäpfchen einzupflanzen, damit ich ein bisschen dösen kann, um wieder Kraft zu tanken. Und sie möchte mich an den Wehentropf hängen, damit die Sache mal vorwärts geht. Auch das wollte ich eigentlich auf keinen Fall, aber auch hier höre ich nur noch „Entspannung und gleichzeitig vorwärts gehen“ und finde die Idee sofort gut. Ehrlich, ich glaube, in diesem Zustand hätte ich zu allem „Ja“ gesagt. Mir ist inzwischen alles egal, ich kann schon längst nicht mehr klar denken und will es nur endlich hinter mir haben! Ich bekomme also das Zäpfchen, den Tropf und eine warme Decke. Die Wärme tut mir gut und ich döse tatsächlich für kurze Zeit weg. Mein Mann geht inzwischen an die frische Luft.
Ich bin während der nächsten Stunden total benebelt, stehe ziemlich neben mir und habe jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwie existieren nur noch zwei Zustände: 1. Wehe und 2. warten auf die nächste Wehe. Ungefähr gegen 18.00 Uhr untersucht mich die Hebamme wieder. Mumu bei 9 cm! Endspurt, oh, Endspurt, nimm mich, pack mich, wirf mich rein, ich bin jetzt und bis zum Ende dein! Ungefähr so fühle ich mich in dem Moment.





Die Herztöne gefallen der Hebamme immer weniger und sie meint, dass sie den Arzt kommen lassen muss, wenn nicht bald was passiert. Das klingt fast ein wenig wie eine Drohung, weswegen ich natürlich gleich mit vollster Kraft presse, ich gebe alles und sogar noch ein bisschen mehr… Aber es nützt nichts. Die Abstände der Presswehen verlängern sich, der Kopf rutscht in den viel zu langen Pausen immer wieder zurück und es geht kein bisschen voran. Die Hebamme wird nervös und ruft meinen FA zuhause an, damit er in die Klinik kommt. Ich schaue auf die Uhr drüben an der Wand und stelle fest, dass ich „erst“ 45 Minuten Presswehen habe. Das ist nicht fair, dass sie nach so kurzer Zeit schon den Arzt ruft, finde ich und schmolle innerlich. Dass die Herztöne der Kleinen so schlecht sind, will ich irgendwie nicht wahr haben…
Etwa 15 Minuten später trudelt der Arzt ein. Die Hebamme sagt gleich zu ihm, dass man wohl von unten etwas nachhelfen müsse. In meinem Hirn tauchen Begriffe auf wie Saugglocke, Zange, Dammschnitt… Und ich bete, dass so etwas nicht nötig ist. Der Arzt checkt die Lage während einer Presswehe und meint, dass wir das womöglich auch ohne Unterstützung hinkriegen. Der Gute ist in dem Moment mein Held! Das hätte ich nicht erwartet, dass der nicht gleich eingreifen will, obwohl er extra herkommen musste.

Der Arzt zieht sich einen Kittel über und erinnert mich sofort an einen Metzger. Er breitet seine ganzen Utensilien vor mir aus, während die Hebamme die Beinschienen anbringt. Eine zweite Hebamme (wohl die nächste Schicht) kommt hinzu und fragt, was sie tun könne. Die drei besprechen ganz leise, wie sie vorgehen wollen. Ich höre nur was von kristellern, schneiden und Zange und weiss nun leider genau, was mir bevorsteht. Das sind für mich die allerschlimmsten Minuten der Geburt. Ich fühle mich wie eine Verurteilte, die auf die Vollstreckung wartet. Der Arzt setzt eine Betäubungsspritze, die ich als äusserst schmerzhaft empfinde (meine Schmerzaushaltressourcen sind wohl langsam aber sicher erschöpft). Ich frage mich, wie schmerzhaft dann der Rest erst wird, wenn ich schon die Spritze so schlimm finde und ich weiss genau: Wenn die nächste Wehe kommt, bin ich fällig! Ich will das aber nicht! Meine Psyche übernimmt nun die Kontrolle über meinen Körper, sprich, es vergehen Minuten ohne Presswehen. Die Herztöne bleiben in diesen Minuten auf einem bedenklichen Niveau und alle werden immer nervöser. Ausser ich. Ich zerfliesse nämlich im Selbstmitleid, will nicht geschnitten werden und bin enorm enttäuscht, dass mein erstes Geburtserlebnis so ein Desaster sein muss.

Jetzt geht alles ganz schnell: Pressen, Schnitt, Zange einführen und ziehen, während die Hebamme mit ihrem ganzen Gewicht auf meinen Bauch drückt. Ich habe das Gefühl, gleich in tausend Stücke zu zerspringen. Diese Schmerzen lassen sich nicht beschreiben. Ich schreie wie am Spiess und zwar vom Einführen der Zange bis die Kleine dann draussen ist. Schreien ist mein einziges Ventil in dem Moment, ich habe das Gefühl, wenn ich diese Schmerzen nicht mittels Schreien rauslasse, dann muss ich sterben – wobei mir durchaus bewusst ist, dass ich nicht sterben muss. Ich weiss nicht, ob ich es schockierend oder faszinierend finden soll, dass ein Mensch fähig ist, derartig heftige Schmerzen auszuhalten.
Es ist 19.16 Uhr und unser Baby ist auf der Welt! Und ich liege einfach nur da wie ein Zombie. Völlig plemplem denke ich zusammenhanglose Dinge wie: „Puh, vorbei… Hm, ich höre sie gar nicht schreien… Scheisse, gleich werde ich noch genäht!“ Man müsste meinen, dass ich mir eher Sorgen wegen dem nicht schreienden Baby machen sollte und nicht wegen der bevorstehenden Näherei, aber ich kann schlicht keinen klaren Gedanken mehr fassen und bekomme alles nur verschwommen mit. Von ganz weit her vernehme ich dann aber das Schreien eines Babys. Das Schreien unseres Kindes!
Eine der Hebammen schiebt plötzlich mein T-Shirt hoch und legt mir das schreiende, nasse und blutverschmierte Bündel auf die Brust. Ich sehe zu meinem Mann rüber. Er weint. Mein Blick geht wieder zurück zu unserem Baby. Es weint. Ich denke: „Ja, alles so, wie es sein muss.“ Ich weine nicht. Für grosse Emotionen habe ich irgendwie keine Energie mehr… Die Hebamme legt ein warmes Tuch um das Baby und fragt lächelnd: „Wie heisst er denn?“ Waaaaas? Wie bitte? Wir haben doch ein Mädchen oder etwa nicht? Na super, auch das noch, schiesst es mir durch den Kopf. Wir haben ja gar keinen Jungennamen. *hüstel* Ich bin völlig sprachlos. Mein Mann fragt aber gleich nach, ob es denn kein Mädchen sei. Die Hebamme hebt das Tuch an, linst zwischen Babys Beine und lässt verlauten: „Ah ja, ein Mädchen!“ Mein Mann und ich gucken uns erleichtert an und müssen lachen.
Der Arzt flickt mich inzwischen wieder zusammen und es scheint ewig zu dauern. Und es tut weh! Ich habe so dermassen die Nase voll von all den Schmerzen, dass ich ihn ziemlich angesäuert frage, wie lange das denn noch dauert.

Jetzt wird es wieder spannend für uns. Die Kleine wird vermessen und gewogen: 3'540 gr, 52 cm und 36 cm Kopfumfang! Unser kleiner Schatz wird noch angezogen und dann werden wir aufs Zimmer geschoben. Mein Mann trottet hinterher. Er ist fix und fertig, sieht leichenblass aus, aber dennoch sehr glücklich. Und ich will einfach nur noch schlafen.
Die nächsten Tage in der Klinik sind leider nicht besonders schön. Mein Blutdruck ist dauerhaft im Keller, ich kann nicht alleine aufs Klo, meine Kleine nicht selber aus ihrem Bettchen heben, um sie zu stillen und habe wahnsinnige Schmerzen an der Naht. Alleine schon umdrehen im Bett ist die Hölle und an sitzen kann ich noch nicht mal denken! Weil ich nach zwei Tagen immer noch weisser als die Wand hinter meinem Bett aussehe (mein HB ist auf 6 runter, vor der Geburt war er bei 14), wird beschlossen, dass ich eine Bluttransfusion brauche. Danach geht es wieder etwas aufwärts, zumindest mit dem Blutdruck. Die Schmerzen vom Dammschnitt machen mich noch Tage später total fertig. Ich brauche alle 4 Stunden eine Schmerztablette, sonst drehe ich durch. Manche Pflegerinnen schauen mich an, als würde ich etwas übertreiben und alle sagen immer nur: „Das wird bald wieder!“ Naja… Nach einer Woche kann ich wenigstens halbwegs wieder laufen und kann somit endlich nach Hause. Als dann drei Wochen später meine Naht eitert, weil die Fäden sich nur teilweise oberflächlich aufgelöst haben und teilweise eingewachsen sind, muss ich zum FA, der dann feststellt, dass ich eine Fadenunverträglichkeit habe. Juhuu...

Fazit: Ich war echt ein bisschen vom Pech verfolgt, könnte man meinen. Und wenn ich so über den Geburtsverlauf nachdenke, frage ich mich schon, was ich hätte anders machen können (früher in die Klinik, später in die Klinik, Hausgeburt usw. usf.). Ich habe immer noch ein wenig daran zu kauen, dass ich die Geburt nicht ohne Eingriff geschafft habe und dass ich so lahm gelegt war in den ersten Tagen. Nichtsdestotrotz war sehr schnell sehr viel Liebe für unsere Kleine da und ich war überglücklich, als ich endlich selbstständig für sie sorgen konnte. Die ersten Tage in der Klinik waren wirklich hart, weil ich mich ohne Hilfe nicht um die Kleine hätte kümmern können. Wenn sie schrie, weil sie Hunger hatte, musste ich einer Schwester klingeln und hoffen, dass sie ganz schnell kommt, um mir mein hungriges Baby an die Brust zu legen. Auch wickeln oder umziehen konnte ich sie lange nicht selber. Das tat schon ganz schön weh. Aber daheim bin ich dann so richtig aufgeblüht. Für mich war nicht die Geburt der schönste Moment meines Lebens, sondern das Nachhausekommen mit unserem Baby.
