@Tin
Ich hatte dir ja schon im geschlossenen Teil etwas geschrieben. Nun kommt mir noch was in den Sinn. ProCap könnte dir da ev. weiterhelfen, wenn es ans Rechtliche geht. Aber gäu, dafür muss man ja dann auch Zeit freischaufeln. Ich mache aber mit ihnen im Moment grad gute Erfahrungen.
@Hibiskus
Und trotzdem: Heute ging es einigermassen, da ich andere Kinder hier hatte (das geht unter meiner Führung meist gut), aber wie soll das die nächsten Wochen funktionieren, wenn immer mehr Kollegen von Junior nicht mehr zu uns kommen dürfen...? Dann bin ich 24/7 mit Junior alleine? Ohne Ablenkung? Mit keinen Aussenkontakten?
Ich habe Junior seit neun Jahren so zuhause, seit fünf wäre er schulpflichtig und hatte keinen Platz. Er hätte seit drei Wochen einen Sonderschulplatz, einen Halbtag pro Woche, nun ist die Schule zu, das Betreuungsprogramm heute gestrichen, weil in der Schule gehustet wird. Alle sind sich bewusst, dass es für alle Familie schwer ist, weil eben nicht nur die Schule fehlt, sondern eine Entlastung der familiären Strukturen. Mein Mann ist seit letzter Woche in der Psychi, meine Eltern sind kein Notanker mehr. Sohn dreht durch, weil er wieder nur daheim ist, wie schon seit Jahren. Wir müssen uns jetzt wieder einpendeln. Auf "nochli lenger so wi bishär". Wir hocken dauernd aufeinander, weil es keine Betreuungsmöglichkeiten gibt. Kinderkontakte sind und waren immer schwierig. Meine sozialen Kontakte sind geschrumpft, die Kraft hat gar nicht mehr erlaubt noch gross wegzugehen. Es hänkt a. Immer um Kinder herum sein. Man verkümmert intellektuell, wenn man sich nicht selbst nährt. Ich sage mir, es ist eine Phase. Ich hatte gehofft, sie wäre nun mit dem Finden einer Sonderschule endlich vorbei. Nun dauert sie noch länger. Das zermürbt mich, aber ich versuche mich an meinen, in den letzten Jahren geschaffenen, Inseln zu halten. Mit Homeschooling und Dauerbetreuung (Kind hat Hilflosenentschädigung mittleren Grades, zeitweise Intensivpflegezusatz und Dauerüberwachungsbedarf), stellt man sich extrem zurück. Erfahrungsgemäss können sich die meisten nicht vorstellen wie sehr man sich zurückstellt, wenn man ein Kind mit besonderen Bedürfnissen hat. Nun wird es noch etwas mehr. Und vielleicht wird das Verständnis für unsere Situationen nach der Coronawelle und diesen Massnahmen dann etwas grösser, wenn auch Eltern von "normalen" Kinder zu spüren bekommen, was es heisst, wenn keiner die eigenen Kinder betreuen will, oder kann. Wenn man sich selbst der Kinder Willen auf ein Minimum zurückschrauben muss, wenn der Job nicht drinliegt, Selbstverwirklichung in der Ferne liegt...
Ich erzähle dir mal, was mir in den letzten Jahren geholfen hat. Denn für uns ändert sich eigentlich durch die Massnahmen nicht viel. Was ja auch eigentlich ein tragisches Zeichen unseres Soziallebens ist und der Beschulung unseres Kindes.
Such dir etwas das du zuhause machen kannst, das deins ist. In das du eintauchen kannst, wenn du Momente hast, in denen deine Kinder für sich zufrieden oder im Bett sind. Ein Langzeitprojekt das dich durch die Zeit trägt, das dir wirklich etwas gibt. Von Vorteil ist, wenn du dich räumlich distanzieren kannst. Bei uns geht das nicht, wegen dem Überwachungsbedarf, also habe ich einfach "meinen Sessel". Mit "meiner Aussich". Der steht immer gleich und so, dass ich doch das Gefühl habe, ich bin etwas für mich.
Versuch dich darauf zu trimmen, von einem Moment auf den anderen den Schalter von Mami auf Hibiskus zu stellen und innert kurzer Zeit nur für dich da zu sein, immer dann, wenn die Kinder alleine können. Ich habe das über Musik gemacht. Ich habe Musik für meine Ich-Zeit. Inzwischen ist es so, dass ich, wenn ich die höre, schnell umschalten kann. Das sind manchmal nur kurze Momente. Nutz die. Und übe mit den Kindern, sich selbst zu beschäftigen. Ich habe das mit einer Uhr eingeübt. Erst nur zwei Minuten, dann fünf, dann irgendwann 30. "Das ist jetzt meine Zeit, ihr schaut für euch, macht xy, bis die Zeit um ist."
Gerade wenn du jemand bist, der nicht durchs Muttersein aufblüht, dann ist das eine harte Zeit, wenn du plötzlich Mutter, Lehrerin und Therapeutin bist und sonst nichts mehr. Mir hilft es, dass ich für mich weiss, was ich brauche, damit ich "fürchume". Das ist nicht DIE Erfüllung, es ist ein "Fürcho". Aber darum geht es halt manchmal im Leben. Und da muss man sich trotzdem gut schauen.
Mir hilft zBsp die Unibibliothek, die verschicken auch, vielleicht tun sie es nun noch vermehrt, oder unter anderen Konditionen. Man kann ausserdem online stöbern und reservieren. Mir helfen auch kleine Routinen, die ich mir nicht nehmen lasse, wenn das Kind nicht grad blutet oder einen Meltdown hat. Die ich auch bewusst nachhole, wenn sie mal eben aus der Not verschoben werden müssen. Tee nach dem Mittagessen, mit einem Buch. Eine Runde Stille, zehn, fünfzehn Minuten.
Und ich habe eben meine Insel, meine Leidenschaft, die ich auch daheim haben kann. In die ich verschwinden und abstellen kann.
Wenn ein Mann da ist, dann stellt man ja ohnehin als Paar schon sehr zurück, wenn spezielle Kinder da sind. Nun wohl noch mehr. Wir haben immer versucht unsere Rituale zu erhalten. Tee am Abend nach dem Znacht. Zusammen. Nicht über das Kind reden. Sauna im Keller, Kind-Themen-freie-Zone. Nicht über das Kind reden. In letzter Zeit, weil wir beide immer so müde waren, jeden Abend ein, zwei Folgen auf Netflix. Zusammen. Nicht übers Kind reden. Neu würde ich sagen, auch nicht über Corona reden.
Juniors Vater war heute hier, da ich um Hilfe gebeten habe, aber: 2/3 der Zeit haben sie zusammen ferngesehen. Naja, DAS kann ich auch ohne Unterstützung....
Wie wäre es denn, wenn Junior stattdessen zum Papi geht und du dann für dich sein kannst? Dann schauen sie halt fern, jä nu. Aber du hättest Raum und Zeit ohne Kind.
Ich habe nach all den Jahren das Gefühl, ich brauche primär auch ab und zu einfach eine räumliche Trennung. Keine Verantwortung, kein Hinschauen müssen, allein sein. Nicht Kind parkieren und ein schlechtes Gewissen haben, sondern mit der Verantwortung dafür ganz abgeben und durchatmen.
Ich wünsche euch allen viel Kraft.